Liebe Forscher:in
In meiner Kita befindet sich ein kleines Kind, das irgendwie anders ist. Es befolgt keine Regeln, es hilft nicht gerne mit, es mag nicht aufräumen, es macht im Singkreis nicht mit und es schupst andere Kinder. Das Kind ist 2.5 Jahre alt und schon 1.5 Jahre lang in der Kita. Es ist nicht in auf irgendeine Weise auf etwas diagnostiziert und es ist auch nicht kognitiv eingeschränkt. Woran könnte sein Verhalten liegen? Wie kann ich so einem Kind helfen? Wenn das Kind überhaupt nicht mitmacht, setzen wir es in einen Stuhl. Verletzen wir seine Rechte?
Lieber Timon,
es ist verständlich, dass Sie sich Gedanken machen, wenn ein Kind sich wiederholt ausserhalb gruppenüblicher Normen bewegt – und dass Sie nach Wegen suchen, wie Sie ihm am besten helfen können. Gerade bei jüngeren Kindern ist auffälliges Verhalten oft ein Signal, das uns einlädt, genauer hinzuschauen. Es ist gut, dass Sie diesen Blick haben.
Aus entwicklungspsychologischer Sicht gibt es viele mögliche Gründe, warum sich ein Kind im Alter von 2.5 Jahren so verhält, wie Sie es beschreiben. Im Folgenden gehe ich kurz auf mögliche Ursachen ein und anschliessend auf geeignete pädagogische Handlungsansätze.
Ein Kind, das über längere Zeit wenig Orientierung am Gruppenverhalten zeigt, könnte Bindungsunsicherheiten oder emotionale Belastungen erleben. Das bedeutet nicht zwingend eine Störung, aber womöglich fehlt ihm die nötige emotionale Sicherheit, um sich im Gruppengeschehen einzulassen. Ein schwieriges Verhalten kann allgemein auch Ausdruck von Stress, Überforderung, Vernachlässigung oder unklaren Grenzen im familiären Umfeld sein.
Aus Sicht der sozial-emotionalen Entwicklung ist das Alter ein Übergang: Kinder entdecken ihren eigenen Willen und möchten vieles allein entscheiden und stossen dabei immer wieder an Grenzen. Das Kind beginnt erst, die Perspektive der anderen wahrzunehmen, soziale Erwartungen zu verstehen und mit seinen starken Gefühlen umzugehen. Zudem ist die Impulskontrolle auch noch schwach ausgebildet. Manche Kinder brauchen für diese Entwicklungsschritte länger – gerade dann, wenn sie ein sehr starkes Temperament, begrenzte sprachliche Ausdrucksmöglichkeiten oder noch wenig Sicherheit in sozialen Situationen haben.
Was hilft in solchen Fällen?
Was den Stuhl als Massnahme betrifft: Es ist nachvollziehbar, dass man Grenzen setzen will, wenn das Kind gar nicht mitmacht. Allerdings erleben Kinder solche Massnahmen oft als Ausgrenzung oder Strafe – gerade, wenn sie den Zusammenhang nicht verstehen oder allein gelassen werden. Das kann zu Frust oder Rückzug führen und verstärkt manchmal sogar das unangebrachte Verhalten.
Alternativen könnten sein:
Sie machen sich Gedanken, Sie sind aufmerksam – das ist schon der wichtigste Schritt. Jedes Kind bringt seine eigene Geschichte, sein eigenes Temperament und seine eigenen Strategien mit. Mit Geduld, Verständnis und Klarheit können Sie viel bewirken – manchmal auch durch kleine Veränderungen im Umgang.
Ich hoffe, dass das etwas hilft. Ansonsten gerne nachfragen.
Mit besten Grüssen,
Regula Neuenschwander
Wunderbar! Ihre Antwort hat mir weitergeholfen. Vielen Dank für Ihre Arbeit!
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